Elisabeth Daniela Weissitsch
Jedes Jahr, pünktlich zu Beginn der Weihnachtssaison, wird für den Wiener Rathausplatz ein riesiger Weihnachtsbaum aufgestellt. Ja, ich sage mittlerweile Weihnachtsbaum zum Christbaum, weil sich insbesondere in Wien auch viele Menschen anderer Religionen und Kulturen, sich dieses Kultes erfreuen. Mit Jesus haben die Lichterketten, Punsch-Orgien und Keks-Komata ohnehin schon lange nichts mehr zu tun. Außerdem ist der Baum historisch betrachtet eher ein Aristokratenbaum, als ein christlicher Brauch.
Und so wie jedes Jahr, wird der Baum an kahlen Stellen mit Zweigen ausgefüllt, denn Lücken sind unsexy – zumindest wenn man den jährlich wiederkehrendem Gesuder über den „hässlichen Baum“ am Rathausplatz Glauben schenkt. Mittlerweile könnte man meinen, die Nachrichten über die ästhetische Minderwertigkeit österreichischer Fichten seien einfach re-posted worden mit dem exakt selben Inhalt, weil es sonst nichts zu berichten gibt. Aber nein! Tatsächlich gibt es alle Jahre wieder Menschen, die sich über den Weihnachtsbaum in Wien aufregen, weil er vor Hässlichkeit strotzt. „Fichtenshaming“ nenne ich das, oder simpel: wozu diese Unnötigkeit? Ich bin für mehr Baumgerechtigkeit und weniger „Baum-body-shaming“!
„Er muss groß, darf aus statischen Gründen aber nicht zu groß sein, er soll massiv sein, aber gleichzeitig schlank genug, um auf den Sattelschlepper und dann in die Vorrichtung auf dem Rathausplatz zu passen.“
Klassisches Baum-shaming
Aber Spaß beiseite, haben wir verlernt, den Luxus anzuerkennen, dass wir jedes Jahr Bäume schlägern, um sie mit billgen Lamperln zu behängen, davor Fotos zu schießen und den Dampf von warmen Wein einzuatmen? Ist nicht der Brauch des „Christbaums“ dazu da, sich über das Wenige zu freuen und familiär/freundschaftlich zusammen zu kommen?
Wenn man nicht ganz so rabiate Methoden wie die grantige Fichte anwendet, dann muss eben erklärt werden:
„Jahr für Jahr kommt die Verwaltung hier wie dort anschließend nicht darum herum, ihrer Stadtbevölkerung zu erklären, dass die schönsten und prächtigsten Kandidaten nun einmal nicht in der Großstadt heranwachsen.“
Der Standard
Aber vielleicht raunzen die „Baumhater“ auch, wenn sie den Sachverhalt kennen. Ich kann mir nämlich nach 7 Jahren in Wien, mit dem wiederkehrenden Gesuder nicht mehr vorstellen, dass es da einfach am Baumwissen mangelt. Ich denke es mangelt eher an Kompetenzen wie Bescheidenheit, Zufriedenheit, Freude, Dankbarkeit und Umweltbewusstsein; übrigens bis auf das Letzte auch tatsächlich Gründe, weshalb man überhaupt ein Weihnachtsfest feiert. Für diejenigen, die es nicht wissen; nein, man feiert zu Weihnachten nicht die Amazon Lieferung und das 2 wöchige Festessen. Da ging es mal um etwas anderes.
Bäume in „echter Natur“. Dieses Apfelbaum-Expemplar bräuchte wohl ein paar Ast-Extensions zur Perfektion. Die Hühner müssen diese Wiederlichkeit leider ertragen, bevor sie endlich schnitzelig erlöst werden.
Eine Fichte trotzt dem Schnee, nicht aber dem Transport quer durch Österreich. Sie wirft dann vor Heimweh Äste ab.
Ein Baum behängt mit Baum, Salzteig und Metallstreifen (kann man übrigens seit 1950 jährlich wiederverwenden). Glöckchen vom Holzgarten.
Viele finden die jählichen Schimpfereien auch „charmant“ oder lustig. Natürlich sind manche Kommentare zum Schmunzeln: „auf die Größe kommt es nicht an“, „Maibaum“, „Krautstauden“, „Baum mit Burnout“ und voriges Jahr beliebt: „hat Corona schon überstanden“, „Baum von 2019“ usw. Man kann daraus auch positiv interpretieren, dass „den Wienerinnen und Wienern ihr Christbaum wichtig ist„. Ist ja alles recht und schön, aber als „Zuagraste“, die in ihrer Kindheit bei mehreren Baumfällungen dabei war und mitgeholfen hat, habe ich auch gelernt, wie viel Wert so ein Fichterl, Tannenbäumchen oder „Bamale“ (= kärntnerisch für Bäumchen) eben ist. Ich find die Krautstauden auch lustig, aber manche Witze bekomen eben lange Bärte und werden irgendwann fad; und irgendwie wiederholt sich das Weihnachtsbaum-Drama jetzt jedes Jahr.
In puncto Umweltbewusstsein muss ich auch noch anmerken, dass es seltsam ist, wenn man über Nachhaltigkeit, Umweltschutz, Klimawandel und Co. spricht, dass dann ein zu karger Baum ein Problem ist. Das Problem ist, dass man in ein paar Jahren den Baum vielleicht nicht aus dem Burgenland holen muss, sondern aus Schweden oder Finnland, weil österreichische Fichten selbst im Oktober bei Waldbränden verbrennen.
„Ich verkünde euch eine große Freude“: wir haben immer noch den Luxus uns einen Baum anliefern und auf den Rathausplatz stellen zu lassen, um uns dort im Konsumwahn zu lüsten. Lasst uns doch einfach bisschen still sein; Weihnachten ist die Zeit der Ruhe und Stille und freuts euch doch über das was wir haben…
Ich nenne das Null-Toleranz bei Luxuskritik, weil die passt sowas von nicht mehr zu 2021 und Friday For Future und Co. Zu 2021 würde es passen, wenn wir verzückt darüber wären, trotz verheerendem Waldbrand eine Fichte haben zu dürfen, und stolz darauf wären, dass wir nicht Äste mit Schrauben zur Verdichtung anbringen, sondern einen Baum als Baum schön finden, so wie er ist, weil wir den Wert endlich erkannt haben. Für mehr Baumliebe ❤