Elisabeth Daniela Weissitsch
Warum ist plagiieren ein Problem? Warum wurden die Plagiatsvorwürfe der Arbeitsministerin Aschbacher zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt erhoben?
Drastische Reaktionen auf Plagiate sind notwendig, da an akademische Titel nicht nur (meistens) höhere Gehälter und gute Positionen geknüpft sind, sondern, weil eine Erschleichung auch gegen das wissenschaftliche Ethos (Pflichtbewusstsein, Moral) verstößt. Das wäre dasselbe, wenn ich mich als Medizinerin ausgebe und Patient*innen behandle, obwohl ich das nicht bin. Menschen vertrauen darauf, dass die nachgewiesenen Leistungen, die zur Berufsausübung führen „echt“ sind. Ich darf auch nicht Leute psychologisch behandeln, ohne die entsprechende Ausbildung gemacht zu haben. Deshalb ist es auch nicht „cool oder lustig“, wenn man während Prüfungen schummelt oder Arbeiten abschreibt.
Solche Fälle sind dennoch Einzelfälle, es soll nicht der Eindruck entstehen, dies sei die Normalität im wissenschaftlichen Alltag- ganz im Gegenteil. Das Problem mit solchen Skandalen ist allerdings, dass das Vertrauen in die Wissenschaft sinkt und das in einer Zeit, wo man sich als Wissenschaftler*in für seine Argumente und Forschungsergebnisse gegenüber Youtube-Videos und Facebook-Kommentarspalten „verteidigen“ muss. Niemand würde sich von einer Kindergartenpädagogin operieren lassen, aber für politische Entscheidungen werden nicht Politikwissenschaftler*innen gefragt, für das Überarbeiten vom Schulsystem keine Bildungswissenschaftler*innen herangezogen und zum Thema Impfen glaubt man lieber Tante Herta auf Facebook, als Personen, die ihr Leben lang zu Impfstoffen forschen oder eine medizinsche Ausbildung haben.
Eine Verschwendung von Wissen ist das.
…wenn man lieber der Youtube-Uni Glauben schenkt, als Personen, die im Fachbereich hauptberuflich arbeiten.
Als Wissenschaftler*in geht man eine Verpflichtung ein, sich an das wissenschaftliche Ethos zu halten und beispielsweise nicht abzuschreiben (man schwört sogar auf einen Eid). Die wissenschaftliche Moral ist deshalb so ziemlich das Höchste, das man verletzen kann. Genauso, wie die ärztliche Schweigepflicht oder die Vorschrift, dass man als Therapeut*in kein nahestehendes Verhältnis zum*zur Patient*in haben darf, gilt für Forschende, dass sich diese an die Regeln der „guten wissenschaftlichen Praxis“ halten.
Diese sind zum Beispiel fremde Gedanken in der Arbeit als solche erkennbar zu machen. Wie man die Urheber*innen anführt (also „zitiert“), das wird unterschiedlich gehandhabt. Ob man diese in Fußnoten oder in Klammern im Text schreibt, ist prinzipiell egal, solange man die Arbeit anderer Forscher*innen eben nicht als „eigene“ darstellt. Außerdem muss man im Literaturverzeichnis am Ende jeder wissenschaftlichen Arbeit die genauen Quellen anführen (man kann also nicht einfach irgendetwas behaupten oder erfinden). Verwendet werden dabei keine Blogs, Foreneinträge, Zeitungsberichte (nur in Ausnahmefällen wie bei Medienanalysen) oder Ähnliches, sondern hochwertige wissenschaftliche Literatur.
Das sind zumeist publizierte Fachbücher, Einträge in wissenschaftlichen Sammelbänden oder Veröffentlichungen in anerkannten Wissenschaftsjournalen. Diese Beiträge sind alle mehrfach geprüft, von anderen Forscher*innen quergelesen, mit Feedback und Kritik versehen, überarbeitet und in der wissenschaftlichen „Community“ des jeweiligen Forschungsschwerpunktes, anerkannt. Wenn da „Blödsinn“ drinnen stehen würde, würde das nicht veröffentlich werden, im Unterschied zum Internet, wo jede*r schreiben kann was er*sie persönlich will und denkt. Wissenschaft muss der Allgemeinheit „dienen“. Das „Persönliche“ hat darin nichts verloren. Auch das ist ein Qualitätsmerkmal. Das ist auch der Grund, warum nur „echte“ Forscher*innen (also Personen, die das hauptberuflich machen) tatsächlich dann so weit kommen fachlich zu publizieren.
Die Qualität von wissenschaftlichen Arbeiten, kann man immer dann überprüfen, wenn man sich die Arbeiten genau ansieht. Abstruse, fehlerhafte und grammatikalisch falsche Arbeiten sind ein Indiz für eine schlechte wissenschaftliche Arbeit, genauso, wie wenn die Methoden der Forschung nicht exakt beschrieben sind. Eine Auswertung von Daten beispielsweise, muss mit jedem winzig kleinen Detailbereich erläutert werden. Wie kommt man zu jeder einzelnen Frage (zum Beispiel bei Fragebögen), warum ist sie genau so formuliert, wie sie formuliert wurde?
Ein einfaches Beispiel aus Corona-Zeiten ist, dass es eben sehr wohl einen Unterschied macht, ob man Personen mit oder an Corona verstorben, verzeichnet. Wissenschaftler*innen werden so etwas nicht miteinander vermischen, Personen, die mit diesen Methoden nicht arbeiten, aber sehr wohl. Resultat ist, dass man in der Arbeit dann genau erläutert, ob man eine Zahl verwendet, die Personen inkludiert, die „mit“ Corona gestorben sind, oder nicht. Hat man dann die absolute Zahl (also alle verstorbenen Personen) eines Jahres, sieht man beispielsweise, ob und wie sich eine solche Epidemie auf die Sterberate auswirkt.
Das wichtigste für wissenschaftliche Arbeiten ist daher die Nachvollziehbarkeit für andere Forscher*innen (und alle Interessierten). Woher stammen die Informationen, welche anderen Arbeiten werden verwendet, welche Fragestellung versucht man zu beantworten und mit welcher wissenschaftlichen Methode wird dies versucht? Man muss von außen gut verstehen können, wie die Arbeit aufgebaut ist und worauf man sich bezieht. Üblicherweise werden die eigenen Forschungsergebnisse, sei es aus einem Labor, durch eine statistische Auswertung oder durch einen neuen Gedankengang, extra als solche bezeichnet. Man muss klar einsehen können, welche Bücher und Werke anderer Wissenschaftler*innen verwendet wurden.
Der Berufsethos von Wissenschaftler*innen ist nicht ohne Grund so hoch gehalten. Zum wissenschaftlichen Ethos gehören abseits von der oben beschriebenen „guten wissenschaftlichen Praxis“ auch noch andere Faktoren, wie zum Beispiel die Uneigennützigkeit (Objektivität, finanzielle Unabhängigkeit, Neugier), immer zu zweifeln und alles zu hinterfragen (Zweifel als Denkprinzip), die Pflicht Forschung nicht „geheim“ zu halten (Veröffentlichungspflicht), da sie der Allgemeinheit gehört und dass soziale Merkmale der*des Forschenden (beispielsweise Hautfarbe, Herkunft) nicht in die Bewertung der Forschung fließen sollten.